20. März 2019

South by South West

Erfahrungsbericht und Trends der SXSW 2019
SMP vor Ort dabei

Marcel Vandieken, Partner bei SMP Strategy Consulting, hat auf der diesjährigen South by Southwest (SXSW) in Austin, Texas den neusten digitalen Trends nachgespürt. Im Interview mit Claudia Böhnert – Geschäftsführerin der COURAGE Strategieberatung für Marketing / Kommunikation – berichtet er über seine Erfahrungen, die neusten Entwicklungen zu künstlicher Intelligenz, E-Scootern und Datenschutz und darüber, ob sich die Reise in die Staaten für ihn gelohnt hat.

CB: Marcel, Du bist jetzt seit einer Woche auf der South by South West. Was hat Dich bewogen herzukommen?

Marcel Vandieken: Gemeinsam mit einem ehemaligen Kollegen und guten Freund hatte ich den SXSW-Besuch bereits mehrfach ins Auge gefasst, musste ihn dann aber immer wieder kurz vorher absagen, weil wichtige Projektthemen meine Anwesenheit erforderten. Für 2019 habe ich mir fest vorgenommen neue Ideen und Impulse noch besser mit dem operativen Tagesgeschäft zu verbinden.

Mit Erfolg. Was sind Deine ersten Eindrücke?

Die Größe des Events ist anfangs nicht zu erfassen: Über 400.000 Besucher aus 100 Ländern treffen in 2.000 Sessions auf knapp 5.000 Speaker. Da verliert man schnell die Orientierung und die ist wichtig, denn teilweise sind die Schlangen zu den Top-Events mehrere hundert Meter lang. Dort wartet dann jeder – vom kreativen Künstler bis zum DAX-Vorstand.

Wie stark ist Deutschland auf der SXSW vertreten?

Auf der Besucherseite überraschend stark. An fast jeder Ecke hört man Deutsch und / oder erkennt ein bekanntes Gesicht aus Agenturen, Beratungen, Startups oder Großkonzernen. Einzig den Mittelstand habe ich etwas vermisst oder ihn zumindest persönlich weniger stark wahrgenommen. Das fand ich etwas schade.

Woran liegt das?

Hier kann ich nur mutmaßen. Häufig sehen wir, dass branchenübergreifende Trends mit einem gewissen zeitlichen Verzug in mittelständische Unternehmen Einzug finden. Startups und große DAX-Konzerne nehmen diese teilweise deutlich schneller auf. Das scheint zunächst etwas verwunderlich und steht im Gegensatz zur nachweislichen Innovationsstärke des deutschen Mittelstands. Gerade aber in digitalen Fokusthemen (und hierum dreht sich die SXSW zu einem großen Teil) besteht teilweise noch Nachholbedarf. Ich hoffe jedoch im nächsten Jahr mehr Vertreter aus dem Mittelstand dort anzutreffen.

Erzähl mir ein bisschen mehr über das dortige Netzwerken. Handelt es sich um ein großes Klassentreffen oder geht es vor allem um neue Kontakte?

Es ist eine Mischung aus beidem. Naturgemäß trifft man viele bekannte Gesichter. Tatsächlich lernt man aber vor allem viele neue Leute mit ganz unterschiedlichen Hintergründen kennen. Das Besondere an der SXSW ist, dass dies in einer ungezwungenen Atmosphäre passiert, in der sich schnell alle duzen und sehr offen austauschen. Dieser offene Austausch wird zusätzlich durch das sogenannte „German House“, einer vom Bund geförderten Repräsentanz deutscher Unternehmen auf der SXSW, gefördert.

Das klingt nach einer spannenden Zukunft. Lass uns gemeinsam auf das Jahr 2019 schauen. Welche Trends im Vordergrund?

Im Kern waren das für mich 7 Themen:

  • Urbane Mikromobilität
  • Künstliche Intelligenz (KI / AI)
  • Extended / Mixed Reality (XR / VR / AR)
  • Blockchain & Cryptocurrencies
  • The Rising Power of the GAFA
  • Das Ende der Privatsphäre und Selbstbestimmung
  • Tech-Downgrading / Analog-Fallback / Retro-Trust

4. Blockchain & Cryptocurrencies
Wie auch im letzten Jahr ist das Thema Blockchain eines der wichtigsten auf der SXSW. Seit der SXSW 2018 ist der Kurs der wichtigsten Währung Bitcoin um mehr als die Hälfte eingebrochen. Die Branche kämpft u.a. mit starken Vertrauensproblemen.

Die Facebook-Mitgründer Cameron & Tyler Winklevoss, welche zwischenzeitlich dank ihres frühen Bitcoin-Investments zu den ersten Bitcoin-Milliardären wurden, planen mit ihrer übergreifenden Plattform Gemini Kryptowährungen sicher und für jedermann zugänglich zu machen. Gleichzeitig rütteln sie damit an einem der Grundpfeiler von Kryptowährungen, nämlich der Nichtnotwendigkeit einer zentralen Instanz. Der Markt sich befindet weiterhin in der Findungsphase.

5. The Rising Power of the GAFA
Nicht mehr in der Findungsphase befinden sich nachweislich Google, Apple, Facebook und Amazon – oder kurz GAFA. Und auch für das nächste Jahr wird erwartet, dass die großen Tech-Konzerne ihre Marktmacht weiter ausbauen werden – insb. durch den Vorstoß in die smarten vier Wände.
Aufgrund der Nicht-Kompatibilität der meisten Systeme entstehen dabei immer größere „Switching-Costs“, wenn man sich einmal für eines der Ecosysteme entschieden hat. Der zukünftige Wettbewerb wird dadurch stark beeinträchtigt. Ob und wie die Regulierung darauf reagieren wird, wird eine der spannendsten Fragen der nächsten Jahre. Auch deutsche Unternehmen müssen sich hier rechtzeitig positionieren, um nicht den Anschluss zu verlieren.

6. Das Ende der Privatsphäre und Selbstbestimmung
Schon heute haben wir den Tech-Giganten unsere Fingerprints, Faceprints und Voiceprints anvertraut, um uns zu identifizieren und auf vertrauliche Innformationen zuzugreifen – darunter u.a. von speziellen Programmen und Wearables gesammelte Fitnessdaten. Dieser Trend wird sich auch im nächsten Jahr fortsetzen: Smart Clothes, Yoga-Matten & Co stehen in den Startlöchern für den Massenmarkt-Rollout.

Zusätzlich gehen einige Unternehmen auf der SXSW noch einen Schritt weiter indem sie Emotionen analysieren und Persönlichkeitsmuster ableiten, um Angebote noch einfacher, noch persönlicher und individueller zu machen und bestmöglich auf die aktuelle Situation abzustimmen.

Ebenso ganz oben auf der Liste der Top-Themen steht das Thema „Genanalyse und -modifikation“ – oder kurz: CRISPR (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) – durch das sich für Millionen von Menschen Hoffnungen zur Heilung unheilbarer Krankheiten ergeben.

Während die einen darin die nächste Evolutionsstufe des Menschen ausloben, geben sich andere in der Kombination dieser Themen besorgt. Möchten wir Geschlecht, Hautfarbe, Größe und Intelligenz unserer Kinder wirklich am Computer auswählen? Wie gehen wir damit um, wenn wir wissen, dass wir ein Risiko für eine bestimmte Krankheit in uns tragen? Werden anonyme Instanzen in Zukunft für uns entscheiden, ob wir das Auto nehmen dürfen oder das Rad, weil Sensoren gemeldet haben, dass wir uns in der letzten Woche nicht hinreichend bewegt haben? Eine spannende Diskussion wartet auf uns!

7. Tech-Downgrading / Analog-Fallback / Retro-Trust
Menschen geraten heute immer wieder in Situationen, in denen die High-Tech-Tools und -Produkte nicht mehr funktionieren und aufgrund der Komplexität nicht mehr eigenständig gewartet werden können. Zusätzlich ist das Vertrauen in die Tech-Giganten aufgrund teilweise zweifelhafter Datenverarbeitungspraktiken erodiert.

Aus diesen beiden Aspekten hat sich eine Gegenbewegung entwickelt, die verstärkt auf traditionelle Marken und Produkte mit geringer technologischer Komplexität zurückgreift. Eine solche Positionierung kann für einzelne Unternehmen durchaus Sinn machen und langfristig eine Daseinsberechtigung schaffen. Der Großteil der Unternehmen wird jedoch auch weiterhin dem technologischen Fortschritt folgen müssen, um nicht den Anschluss zu verpassen und substanziell am Markt partizipieren zu können.

Meine letzten zwei Fragen: Wie sieht Dein Fazit aus? Kann die SXSW 2020 auf Dich zählen?

Die SXSW ist ein einzigartiges Event mit inspirierenden Persönlichkeiten und neuen Blickwinkeln. Mein Kalender ist ab sofort jährlich für die SXSW geblockt und das Ticket für 2020 ist bereits gebucht.

Presseartikel SXSW (114.03 KB)