14. Dezember 2020

Ökosystem „Home“ – Emotionalisierung der Kundenbeziehung

Artikelserie: Plattformbasierte Plattformen und Ökosysteme – Teil 6/9: Ökosystem Home

Im ersten Artikel zum Thema Plattformen und Ökosysteme sind wir auf die wesentlichen Merkmale dieses neuen Geschäftsmodellansatzes im Vergleich zu den vorherrschenden pipeline-dominierten Konzepten eingegangen. In den Artikeln 2 bis 4 haben wir uns mit den erfolgskritischen Parametern zur Realisierung funktionierender plattformbasierter Ökosysteme auseinandergesetzt. Dass es diese Erfolgsfaktoren zwingend beim Aufbau von plattformbasierten Ökosystemen zu beachten gilt, zeigen die Ergebnisse zweier Studien, die mit folgenden beeindruckenden Zahlen aufwarten. Erstens schaffen es im Zeitablauf nur ca. 17%1 der Plattformen, wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben. Zweitens hat sich gezeigt, dass in 85% der Fälle das unzureichende und vor allem nicht konsequent durchdachte Set-up zum Aufbau plattformbasierter Ökosysteme für das Scheitern verantwortlich ist2. Das unterstreicht nochmals in überzeugender Weise, dass das einfache Anbündeln von Leistungen an das bestehende Leistungsportfolio bzw. der Aufbau eines Ökosystems mit klassischen pipelinebasierten Managementansätzen nicht zielführend sein kann. Die Devise lautet „ganz oder gar nicht“!

Im fünften Artikel sind wir - sozusagen als letzter Teil der Grundlagen zur Plattformökonomie - kurz auf die Akteure bzw. die Rollen eingegangen, die ein Unternehmen im Rahmen eines plattformbasierten Ökosystems einnehmen kann.

In den folgenden Artikeln werden wir uns ganz konkret mit spezifischen Ökosystemen auseinandersetzen. Fokus des aktuellen Artikels ist die Lebenswelt „Home“. Auch hier nochmals zur Erinnerung: Im Kontext von Ökosystemen wird kundenseitig in den Dimensionen „ganzheitlich“, „rund um etwas“, „erlebbar“, „interessiert mich“, „ist von hoher Relevanz für mich“ gedacht. Die Orientierung und Ausgestaltung von Prozessen und das Leistungsangebot fokussiert auf konkrete Use Cases und Customer Journeys. Natürlich immer aus Sicht der Kunden!

Um erfolgreich zu sein, muss ein plattformbasiertes Ökosystem Home auf folgende Ambitionen zielen:

  • Etablierung eines konsequent am Kundennutzen ausgerichteten Leistungsangebotsrund um das Thema Home“, das beim Kunden Relevanz erzeugt. Im Idealfall führt das zu einem freiwilligen regelmäßigen „Besuch“ der Plattform, weil der Kunde hier alles für ihn Wichtige zu dem Themenfeld findet. Die Identifizierung eines „Ankerproduktes” ist dabei für das Ökosystem von besonderer Bedeutung. Dieses stellt das zentrale Leistungselement zur Generierung insbesondere der cross-side-Netzwerkeffekte dar, um das sich dann im Zeitablauf weitere Produkte ranken (s. dazu auch https://www.smp-ag.de/de/presse/let-games-begin-spielregeln-plattformoekonomie).

     

  • Zusammenbringen aller Partner, die einen Beitrag zur Lösung eines bestimmten Problems bzw. einer Erwartung aus Kundensicht leisten können. Dabei ist das Angebot der aus Kundensicht relevanten Anbieter für ein Produkt für das Ökosystem von besonderer Bedeutung. Das bedeutet auch, dass Wettbewerber in Konkurrenz zueinander in dem Ökosystem auftreten. Sind die „üblichen Verdächtigen“ aus Kundensicht nicht dabei, so wird der Kunde das Ökosystem verlassen und sich einer anderen Plattform zuwenden, die bzgl. der Kombination aus relevantem Angebot und Leistungserbringer besser abschneidet. Der Weggang des Interessenten bzw. Kunden ist auf jeden Fall zu verhindern. Ein Plattformanbieter, der ebenfalls Produktanbieter ist, sollte dem Erfolgsparameter „Offenheit“3 in Bezug auf die auch von ihm angebotenen Produktkategorien aus drei Gründen offen gegenüberstehen.
    • Erstens verdient der Plattformanbieter bei jeder Transaktion mit; auch wenn der Kunde ein Konkurrenzprodukt vorzieht
    • Zweitens erhält er in jedem Fall die Kundendaten der Transaktion und kann diese wiederum für gezielte Next Best Offer-Kampagnen nutzen

    • Drittens kann er basierend auf den Käufen von Konkurrenzprodukten, die aus Kundensicht vermeintlich besser sind als das eigene (bspw. in Bezug auf Preis, Qualität, Verfügbarkeit, Darreichungsform, Bewertungen, etc.), Rückschlüsse auf die Qualität seines eigenen Produktes ziehen und ggfs. Adjustierungen vornehmen.

  • Emotionalisierung der Kundenbeziehung. Die Lebenswelt „Home“, bzw. die Vorstellungen zu „Heim“, Zuhause“ und „Wohnen“ emotionalisieren. Immer! Egal, in welchem Kontext. Denn Menschen verbringen viel Zeit in der Wohnung oder im Haus. Und sie geben viel Geld für die eigenen 4 Wände, für Garten aber auch für eine gute Nachbarschaft aus. Schließlich will man sich wohlfühlen. Und wenn man es vermeiden kann, dann wird diese geschaffene Heimat auch nicht verlassen.
  • Umsetzung der „Winner-takes-it-all / Winner-takes-most“-Ambition und Bestreben, „die“ Plattform zum Thema Home zu werden. Zumindest sollte das die Ambition sein. Die zentrale Anlaufstelle für den Kunden zu werden, ist aber alleine kaum zu schaffen. Daher sind auf der Plattform viele Unternehmen aufgeschaltet, die eine 360-Grad-Sicht rund um die Lebenswelt Home abbilden können. Jeder agiert für sich genommen als Experte in seiner Nische, steht neben den jeweils anderen Besten der spezifischen Home-Kategorien. Aber alle agieren zusammen, um für den Kunden ein bestmögliches und differenzierendes Kundenerlebnis zu schaffen.

 

Wo stehen wir zum heutigen Zeitpunkt?

Die aktuelle Marktsituation zeigt bereits eine Vielzahl von Home-Ansätzen. Aber nicht immer orientieren sich diese an dem oben formulierten Anspruch, die Lebenswelt ganzheitlich abzubilden und nach den Regeln der Plattform-Ökonomie aufzubauen.

Vor allem Energie- und Versicherungsunternehmen haben in den letzten Jahren versucht, diesbezügliche Ökosysteme zu etablieren. Aber auch Bausparkassen (Wüstenrot, LBS, Schwäbisch Hall), NewCos (ANIMUS, facilioo) und Branchenfremde (Apple HomeKit, Google Assistant Home, Amazon Alexa) versuchen gleichermaßen in die Home-Lebenswelt einzudringen. Dabei besitzen die letztgenannten GA(F)A-Vertreter (diesmal ohne facebook) gegenüber den anderen einen großen Vorteil: sie haben bereits heute einen sehr guten Kundenzugang.

Welche Entwicklungen es zur Lebenswelt Home aktuell gibt, betrachten wir nachstehend auszugsweise aus Sicht der Versicherungs- und Energiebranche sowie aus dem Blickwinkel der digitalen Mieterplattform ANIMUS.

Versicherer zwischen Gebäude-, Hausratversicherung und dem Ökosystem Home

Versicherer versuchen im Kontext von Ökosystemen eine Repositionierung vorzunehmen. Davon zeugen viele Strategieerweiterungen, die sich in Formulierungen wie „vom Zahler zum Lebensbegleiter“ oder „vom Produktanbieter zum Designer von Lebenswelten“ wiederfinden. Dazu sind allerdings auch direkt zwei Punkte zu konstatieren:

Erstens handelt es sich bei vielen Offerten in diesem Kontext nicht um ganzheitliche Home-Ansätze, sondern um einen kleinen Teilbereich: dem Smart Home. Darunter sind vor allem IoT-basierte Lösungen zu verstehen. Diese kommen i.R.v. Nachrüstungen bei Bestandsimmobilien oder im Neubau zum Tragen. Der Fokus liegt beim Smart Home-Ansatz auf den Aspekten Sicherheit und Schadensprävention (Sensorik, intelligente Wassersteuerungs­systeme, Einbruch-/Brandsicherung), -benachrichtigung sowie -beseitigung. Zudem werden Leistungen zur Installation und Pflege der eingerichteten Systeme angeboten.

In Abgrenzung zu „Home“ werden mit Smart Home nur Teilbereiche der gesamten Lebenswelt Home abgebildet. Welche Leistungsmerkmale im Kontext des ganzheitlich ausgerichteten Ökosystems Home vorstellbar sind, kann nachfolgender Abbildung entnommen werden.

Leistungsdimensionen-Ökosystem-Home

Abbildung 1: Beispielhafte Leistungsdimensionen des Ökosystems Home (Quelle: SMP AG)

Zweitens sei erwähnt, dass es sich bei den gängigen Smart Home-Ansätzen um keinen plattformbasierten Ansatz handelt. Es handelt sich vielmehr um Vertriebs- oder Produktkooperationen. Beispiele sind Allianz und Panasonic, Generali und devolo sowie AXA und innogy. Damit können durchaus erste Gehversuche in versicherungsfremden Themen unternommen werden, vielleicht sogar unterstützend im Hinblick auf den abzusichernden Kundenzugang, wenn diesem Vorhaben die konsequente Ausrichtung am strategischen Zielbild einer ganzheitlichen Ausrichtung auf das Ökosystem Home zugrunde liegt. Sonst dürfte das nur begrenzt erfolgreich sein. Mit gutem Beispiel geht hier die Baloise voran. Der Schweizer Versicherer hat das Ökosystem Home – neben Mobilität – zu einem wesentlichen Bestandteil der Strategie „Simply Safe: Season 2“ gemacht. Innerhalb von 4 Jahren sollen u.a. über diese beiden Ökosysteme 1,5 Mio. Neukunden hinzugewonnen werden; das entspricht ca. 30% mehr Kunden. Als Grundlage dafür werden neben neu entwickelten, innovativen Versicherungs- und Finanzprodukten die zusätzlichen Kundenkontaktpunkte gesehen, die man sich über die konsequente weitere Arbeit an den Ökosystemen erhofft.4    

Energieunternehmen zwischen Strom, Gas und der Ausrichtung auf Home

Auch die Energiewirtschaft befasst sich mit dem Ökosystem Home. Die Vorstellung, was alles zum Haushalt gehören kann, ist groß. Solaranlage auf dem Dach, Elektro-Auto in der Garage, Erdwärme im Garten. Die Versorgung nur mit Strom und Gas ist längst kein wachsendes Geschäftsfeld mehr. Wer stattdessen die genannten Energiedienstleistungen kombinieren kann, erzeugt Kundenbindung auf Jahre oder gar Jahrzehnte. „Vom Versorger zum Umsorger“ lautet das deutlich ausgesprochene Credo selbst kleiner Stadtwerke. Damit unterzieht sich eine ganze Branche der Transformation. Tatsächlich treiben das Ökosystem Home vor allem die großen Versorger E.ON, EnBW, Yello, Vattenfall, enercity oder die Stadtwerke Düsseldorf mit der Initiative “Digitale Stadt” voran. Unternehmen wie die Stadtwerke Düsseldorf verstehen sich längst als Infrastrukturdienstleister und haben sich damit von dem Image des schwerfälligen Stadtwerks verabschiedet.

Viele Versorger vermarkten inzwischen Kombi-Angebote rund um den Haushalt; sozusagen  „Versorgung plus“. Meist handelt es sich um Bündelangebote von Produkten und Tarifen - ganz nach dem Vorbild der Telekommunikationsindustrie. Der Kölner Energievermarkter Yello war ein Pionier der Bündelangebote in der Energiebranche. Yello bietet seit langem einen Stromvertrag mit Tablet-PC an. Dafür waren Vertriebskooperationen mit Samsung oder Apple erfolgskritisch. Es folgten Waschmaschinen, Fernseher und Play-Station. Jeder Kunde soll ein passendes Wunsch-Gerät zum ansonsten leicht vergleichbaren Stromtarif finden.

Das Vermarktungsmuster war den Energiekunden längst vom Handy-Vertrag vertraut. Und Yello geht, wie viele Energieversorger, noch einen Schritt weiter. Nach Bündelangebot kommen Energiedienstleistungen wie E-Mobilität oder Solaranlagen. Die Ausweitung des Geschäftsmodells ist klar erkennbar. Vom Stromvermarkter zum Lösungsanbieter rund um den Kundenhaushalt. In Konsequenz hat Yello den Begriff “Strom” aus seinem Markenlogo gestrichen.

“Mia san mia” behauptet die bayerische Landeshauptstadt München. Dieses Motto haben die Stadtwerke München (SWM) in ein wegweisendes Ökosystem-Konzept übertragen. Die SWM haben sich eine einfache Frage gestellt: Wie wäre es, wenn alle Menschen in München ihre Nutzerdaten in einem einzigen Konto bündeln könnten? So unkompliziert, dass man mit nur einem Zugang viele digitale Serviceangebote rund um München einfach, bequem und vor allem sicher nutzen und verwalten kann. Mit dem M-Login ist diese Vision Realität geworden.

Tatsächlich bieten die Stadtwerke München seit Jahren Stromversorgung, Wasser, Bäder, öffentlichen Nahverkehr, Fahrräder und Telko-Dienstleistungen und jede Menge App-Services an. Bis vor zwei Jahren wurden die Geschäftssparten weitestgehend getrennt gesteuert. Die Daten auch. Aus Kundensicht und aus Sicht der Stadtentwicklung passen die zahlreichen SWM-Angebote aber sehr gut zusammen. Ein Kundenkonto, ein Blick auf die Stadt, eine Infrastruktur, abgebildet im “M-Login”. Hier erkennen wir den digitalen Startpunkt für ein urbanes Ökosystem.   

Bei aller Begeisterung für den Transformationswillen der Energiebranche muss man zugleich feststellen: Eine offene, digitale Plattform, auf der sich komplementäre Anbieter oder sogar Wettbewerber zur Erweiterung ihrer Geschäftsmodelle tummeln, ist noch Zukunftsmusik. Wir kennen Vergleichsportale – mehr gehasst als geliebt. Es gibt komplexe Stadtwerke-Kooperationen und Querbeteiligungen, die sich in der Thüga oder der Trianel niedergeschlagen haben. Auch bei der Entwicklung von Quartieren gehen Versorger weit über ihre Kernkompetenz hinaus. Aber von einem digitalen Plattformansatz rund um das Thema Home kann noch keine Rede sein.

Doch die Energiewirtschaft lernt dazu. “Copy with Pride” - kopieren und darauf stolz sein, lautet das Motto vieler Versorger mit Blick auf Best Practice aus anderen Branchen. Die Telekommunikation bleibt ein großes Vorbild. Versicherungen sind interessante Sparringspartner. Die Entwicklung vom Versorger über das urbane Ökosystem hin zum Plattformanbieter ist eindeutig vorgezeichnet. Jetzt geht es um Tempo bei den Versorgern und hier vor allem nicht nur um die Erkenntnis, dass Lebenswelten Produkten überlegen sind; sondern darum, dass Ökosysteme nur dann erfolgreich sind, wenn sie konsequent an den Erfolgsfaktoren der Plattformökonomie ausgerichtet werden. In diesem Punkt besteht bei Energieunternehmen die gleiche Herausforderung wie bei den Versicherungskonzernen. Auch andere Branchen kämpfen um Kunden und Kundenschnittstellen. Wer als Energieversorger im Ökosystem und bei Plattformkonzepten langfristig mitspielen will, hat jetzt nur eine Chance: Eine schnelle, digitale und konsequente Transformation.  

ANIMUS – Die digitale Mieterplattform - Home aus den eigenen 4 Wänden heraus gedacht

Die Wohnung – im engen Sinne betrachtet sind es die vier Wände, in denen man lebt. Etwas weitergedacht, stellt die Immobilie den Ankerpunkt für eine Vielzahl von Aktivitäten des täglichen Lebens dar. Sie ist eng mit dem Leben ihrer Bewohner verbunden und somit ein interessanter Anknüpfungspunkt für eine Vielzahl von Überlegungen der modernen Immobilienbranche. Nicht nur IKEA fragte schon „wohnst du noch oder lebst du schon?“.

Um besser zu verstehen, welche Komponenten der Ansatz Home im direkten Kontext zur Immobilie aus Nutzersicht haben sollte, hilft eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Customer Journey. Darauf basierend kann besser identifiziert werden, welcher inhaltliche Ankerpunkt zu setzen ist. Dieser fungiert als eine Art Orientierung für eine Vielzahl von Abläufen, die aus Sicht des Kunden (Mieter, Eigentümer) mit besonderem Mehrwert verbunden sind.

Beispielhaft nutzen wir daher als konkreten B2C-Fall den Lebenszyklus eines Nutzers in einer Wohnung. Wir vernachlässigen an dieser Stelle die B2B-Seite der Immobilien bewusst, um die Komplexität des Beispiels nicht zu erhöhen.

Wir starten mit dem Interesse an einer Immobilie, es folgt der Schritt des Einzugs, die Wohnphase (auch Bewirtschaftungsphase genannt) und zuletzt der Auszug.

Der Interessent sucht heute fast ausschließlich auf Online-Plattformen nach einem neuen Zuhause. Das bekundete Interesse wird an Makler übergeben oder auch digital verarbeitet. Passt der Bewerber auf die Suchkriterien, erfolgen die nächsten gemeinsamen Schritte. Dabei können Besichtigungen sowie die Unterschriftsleistung im Vertragswesen im Mietbereich bereits digital vorgenommen werden. Beim Kauf ist immer noch die Unterschrift des Notars erforderlich. 

Mieterplattform-ANIMUS

Abbildung 2: Sicht auf das Ökosystem der Mieterplattform ANIMUS (Quelle: ANIMUS)

Als nächstes folgt der Einzug. Der Neubewohner hat Kontakt mit dem Verwalter – bspw. für die Schlüsselübergabe. Der neue Mieter will zum Start in der Wohnung bereits Internet und Strom haben, um am Abend das Champions League-Spiel seines Lieblingsvereins sehen zu können. Im Idealfall sollten bereits schöne Möbel das neue Heim wohnlich machen. Darüber hinaus wünscht er sich – zumindest in den meisten Fällen – eine funktionierende Nachbarschaft, in der man sich gegenseitig hilft und sich u.a. die symbolträchtige Bohrmaschine, Kaffee oder Eier ausleihen kann. Das soziale Miteinander oder auch die Gemeinschaft (neudeutsch: Community) stellt einen bedeutenden Faktor bei der Bewertung der Wohnsituation dar. Nun gilt es den Umzug zu organisieren, den Umzugshelfern beim lokalen Bäcker Stullen zu holen und einen Mietwagen zu besorgen, weil die Umzugskartons nicht in den eigenen Mini passen. Auch braucht der Umzugswagen einen Parkplatz während des Umzugs. Beim Einzug und dem Anbringen der Bilder bohren Sie leider die Stromleitung sowie die Heizungsrohre an. Es müssen also dringend Handwerker organisiert werden, die möglichst am selben Tag verfügbar sind und der Schaden ist der Versicherung zu melden. Und wegen Corona ist dann auch noch der örtliche Kindergarten geschlossen und eine sofort verfügbare Tagesmutter mit Referenzen für die 3-jährigen Zwillinge wird benötigt. Und es bleiben weitere Fragen: Wie kann man die Fußbodenheizung ansteuern, wie groß darf der neu zu kaufende Schrank sein, damit er noch ins Wohnzimmer passt, etc..

Natürlich sind diese Fälle konstruiert – und doch ist jede Interaktion eine potenzielle Handlung im Kontext Immobilie bzw. im Ökosystem Home. Im Fall von ANIMUS geht es darum, diese lebensnahen und alltäglichen Fragestellungen aus Kundensicht in einer Software abzubilden, miteinander zu verbinden und mit entsprechenden Dienstleistungen zu versehen. Alles rund um die Wohnung aus einer Hand – in diesem Fall in einer Software-Lösung.

Dies beinhaltet zum heutigen Stand vier verschiedene Bereiche: a) Verwaltung (Kontakt mit dem Verwalter, Beanstandungen, Termine etc.), b) Social (Nachbarschaft, Chatten, Schwarzes Brett etc.), c) Services (Wohnungsnahe Dienstleistungen wie Putzen, Reinigen, Handwerker etc.) und d) Urban Living (Mobilität, Share Economy, Smart Home/Smart Building). Der Nutzer darf nicht mehr aus 15-25 verschiedenen Apps wählen müssen, sondern der Gedanke rund um die Wohnung muss sich in einer positiv aufgeladenen Software manifestieren.

Das funktioniert nicht als Insellösung, sondern nur im Verbund mit Anbietern im Kontext der Wohnung bzw. des Quartiers. Dazu gehören unter anderem Experten für Smart Home, Experten für Zugangssysteme, für Garagen oder das Reinigungsteam. Eine Art “Bündelung”  unterschiedlicher Partner zur Maximierung des Kundennutzens „rund um die Wohnung“. Jeder Anbieter tritt ein wenig zurück, um das große Ganze zu ermöglichen. Denn nur wenn jeder Spezialist seine Disziplin in das Ökosystem einkippt, wird dieses für den Kunden interessant und schafft für ihn Mehrwert. ANIMUS agiert in diesem Kontext gleichermaßen als Orchestrator, Plattformbetreiber und Technologieanbieter (s. dazu auch https://www.smp-ag.de/de/presse/akteure-rollen-wer-macht-was-plattformbasierten-oekosystemen).

Diesen Ansatz kann man nur leben, wenn alle Beteiligten eine gewisse Uneitelkeit an den Tag legen. Was ist damit gemeint? Viele Funktionen bedeuten viele Einsatz-Apps – und jeder denkt, man hat die beste und schönste Software entwickelt. Dem Endkunden ist aber diese Vielfalt nicht recht, es soll wie aus einem Guss wirken und sich auf einer Oberfläche abspielen. Daher bestimmt ANIMUS in seiner Rolle als Plattformanbieter über die Governance das führende Design und die Spielregeln, die das Zusammenwirken zwischen den Partnern untereinander, sowie Interaktionen mit Plattform und Kunden regeln.

Um die kundenorientierte softwarebasierte Lösung im Kontext des Ökosystems Home ins Leben zu rufen, bedarf es Partner, die fokussiert auf den Kunden zusammenarbeiten und entsprechend der zugrundeliegenden Governance agieren. Technisch sind diese Unternehmen alle mit einer API-Schnittstelle untereinander verbunden. Neue Partner können schnell integriert werden, da gewisse Standards und Logiken miteinander geteilt werden. Die jeweiligen Spezialdisziplinen und -logiken bleiben bei den Partnern, der Endkunde nimmt eine Software-App mit vielen relevanten Funktionen wahr.

Monetarisierungsansätze sind im Rahmen der Softwarelösung aktuell noch zweigeteilt. Die Software wird vom Eigentümer der Immobilie refinanziert, der sich Prozessoptimierungen und Kosteneffizienz bei Verwaltungsthemen und eine erhöhte Rendite (Miete und Verkauf) durch gelebte Nachbarschaft und zufriedene Nutzer erhofft. Die Endnutzer zahlen pay-per-use für die Dienstleistungen – wie z.B. Reinigungen der Wohnung. Aber das ist erst der Anfang, denn wenn erst einmal Traktion auf einer Plattform entsteht, rücken Conversion von Produkten, Aktivitäten, Empfehlungen etc. in den Mittelpunkt.

ANIMUS arbeitet seit 6 Jahren in dem Bereich Quartierssoftware und orientiert sich an den Erfolgsfaktoren zum Aufbau plattformbasierter Ökosysteme. Nachdem man zunächst nur analoge Prozesse in eine digitale Welt überführen wollte und schnell erkannte, dass die Immobilienbranche einer der Ankerpunkte für Ökosysteme sein kann (denn wo verbringt man mehr Zeit und investiert mehr Geld und Emotionen als in eine Immobilie?!) - wurden die linearen Kundenbeziehungen aufgebrochen. Aus „Immobilienunternehmen mietet Software und gibt sie an Nutzer und Dienstleister weiter“, wurde „Immobilienunternehmen mietet Software und greift umgehend auf eine große Anzahl Dienstleister zu, die Nutzer interagieren über Standorte und Unternehmen und selbst die Immobilienunternehmen kommen in den Fachaustausch“. So entsteht eine große Dynamik und die „kritische Masse“ über die Generierung der cross-side-Netzwerkeffekte wird erreicht. ANIMUS hat so schnell Kunden in den Feldern Asset Management, Projektentwicklung (Wohnen und Gewerbe), Wohnungswirtschaft, Studentenwohnheime und Pflege gewonnen. Die Produkt-Anbieter kommen aus den Bereichen wohnungsnahe Dienstleistungen (Paketannahme, Wäscherei, Reinigung), Telekommunikation, Energie, Versicherung, Messstellen-Dienstleister, Elektrotechnik etc.. 

Diese 3 unterschiedlichen Sichtweisen auf das Ökosystem „Home“ haben hoffentlich verdeutlicht, wie divers die Herangehens- und Sichtweisen unterschiedlicher Branchen auf das Thema sind. Eines ist Ihnen aber gemein: Der reine Produktansatz im Kontext der eigenen Branche wird verlassen, um vor dem Hintergrund der konsequenten Kundenorientierung Mehrwerte für den Nutzer im Rahmen der Lebenswelt „Home“ zu schaffen. 


Quellen:

1. How Digital Platforms Have Become Double-Edged Swords; MITSloan Management Review; May 08, 2019, Michael A. Cusumano / David B. Yoffie / Annabelle Gawer

2. Why Do Most Business Ecosystems Fail?; June 22, 2020;Ulrich Pidun / Martin Reeves / Maximilian Schüssler; www.bcg.com

3. https://www.smp-ag.de/de/presse/let-games-begin-spielregeln-plattformoekonomie

4. Ehrgeiziges Wachstumsprogramm: Baloise Gruppe rüstet auf; 30. Oktober 2020; Versicherungswirtschaft Heute


Autoren:

Dr. Alfons Niebuer ist Partner für Versicherungen und Banken bei der Strategieberatung SMP Strategy Consulting. Seine Beratungsschwerpunkte liegen in den Themen Plattformen und Ökosysteme, agile und digitale Transformation von Geschäftsmodellen sowie Omnichannel-Management.

Peter Funke ist Partner für Energy & Resources bei der Strategieberatung SMP Strategy Consulting. Beratungsschwerpunkte sind die Entwicklung von neuen Geschäftsfeldern, Vertrieb, Marketing sowie die digitale Transformation von Geschäftsprozessen.

Dr. Chris Richter ist Geschäftsführer und Mit-Gründer des Immobilien-Ökosystems ANIMUS. Er doziert zum Thema Digitalisierung in der Immobilienbranche u.a. an der IREBS International Real Estate Business School.