Let the Games begin: Spielregeln der Plattformökonomie
In diesem zweiten Teil beschäftigen wir uns mit der Fragestellung, welche Grundvoraussetzungen erfüllt sein müssen, damit plattformbasierte Ökosysteme erfolgreich sein können. Die wesentlichste Erkenntnis liegt sicher darin, dass Plattformen aktiv gemanaged werden müssen. Und das nach neuen Spielregeln, die sich zum Teil ganz grundlegend von denen unterscheiden, die in der bestehenden Welt der Pipeline-Geschäftsmodelle herrschen. Der zukünftige Erfolg vieler Unternehmen wird weniger davon abhängen, ob sie gegen ihre aktuellen Wettbewerber der jeweiligen Branche bestehen können, sondern wie gut sie sich gegen plattformbasierte Ökosysteme behaupten werden.

Abbildung: Aktives Management von plattformbasierten Ökosystemen
Auf Basis durchgeführter Projekte und vor dem Hintergrund einer eingehenden Analyse1, 2, 3 zu den Wirkweisen erfolgreicher Plattformen, konnten wir 17 Erfolgsfaktoren identifizieren, die es beim Aufbau von Ökosystemen zu beachten gilt (siehe Abbildung 1).
Wir unterschieden die 17 Faktoren in zwei Gruppen: Kern-Faktoren und Enabler. In dem vorliegenden Artikel werden die Kern-Faktoren näher beleuchtet werden. Dabei handelt es sich um die Parameter „Business Model“ (sozusagen das Fachkonzept), „Netzwerkeffekt“ (cross-side-Effekt; same-side-Effekt), „Offenheit“, „Governance“ und das „Monetarisierungskonzept“.

Abbildung 1: 17 Erfolgsfaktoren zum Management von plattformbasierten Ökosystemen
1. Business Model
Zu Beginn steht der konzeptionelle Entwurf des plattformbasierten Ökosystems im Fokus. Das Konzept stellt die Struktur der Lösung dar und beschreibt alle spezifischen Komponenten einer Plattform. Dabei entsteht die konzeptionelle Klarheit meist über die bewusste Vereinfachung. Um einen klaren Blick auf Akteure und Einnahmequellen zu erlangen, liefern die Erfinder des Business Model Canvas Osterwalder und Pigneur4 nicht nur ein bewährtes Vorgehen, sondern auch gleich ein eingängiges Beispiel: Google z.B. unterbreitet drei voneinander abhängigen Kundensegmenten jeweils eigene unterschiedliche Wertangebote und hat dabei eine hauptsächliche Einnahmequelle: AdWords-Auktionen subventionieren 1) die kostenfreie Suchfunktion für Internet-Surfer und 2) die Monetarisierungsmöglichkeiten für Content-Eigentümer. Erst die Verknüpfung und das ineinander verweben der unterschiedlichen Angebote unterscheidet dabei die Plattform vom klassischen Geschäftsmodell.
2. Netzwerkeffekt
Entscheidend für den Erfolg einer Plattform ist die positive Auswirkung einer steigenden Nutzerzahl: Der Netzwerkeffekt beschreibt dabei die Auswirkung, welche die Anzahl der Nutzer einer Plattform auf die Wertschöpfung für jeden einzelnen dieser Nutzer hat. Die erfolgreichsten Plattformen bieten Nutzern typischerweise positive zweiseitige Netzwerkeffekte, die auch das „Henne-Ei-Problem“ lösen. Dazu sind allgemein gesprochen die richtigen „Anker“-Anbieter und -Nachfrager zur richtigen Zeit sowie die attraktivsten Lösungen aufzuschalten, die ein kundengruppenspezifisches Kernproblem adressieren und damit für alle Seiten Relevanz erzeugen.
Ein Beispiel für positive Netzwerkeffekte sind Mobilfunkanbieter – umso mehr Menschen ein Mobiltelefon benutzen, umso größer ist der Nutzen für alle anderen Mobiltelefonnutzer. Es gibt auch negative Netzwerkeffekte: Wenn immer mehr Menschen Facebook nutzen, dann sinkt die Attraktivität für die meisten Jugendlichen spätestens, wenn die eigenen Eltern auch mitmischen. Ein negativer Effekt ist auch vorhanden, wenn z.B. die Zunahme der Nachfragerzahl auf der einen Seite mit einer Verknappung des Leistungsangebots auf der Produzentenseite einhergeht; es kommt zu Lieferengpässen, Preissteigerungen und ggfs. Qualitätsmängeln.
Einseitige („same-side“) Netzwerkeffekte entstehen, wenn eine steigende Anzahl Nutzer einer bestimmten Gruppe den Nutzen für Angehörige dieser Gruppe erhöht – ein Beispiel sind mehr Online-Spieler auf Microsofts Xbox. Für den Erfolg einer Plattform bedeutsam sind aber zweiseitige („cross-side“) Netzwerkeffekte: Eine steigende Anzahl Nutzer der einen Gruppe erhöht den Nutzen für die andere Gruppe. Je mehr Händler auf Amazon ihre Waren anbieten, umso attraktiver für die Kunden. Je mehr Kunden bei Amazon einkaufen, umso attraktiver für die Marketplace-Händler. Für Kreditkartenanbieter gilt das genauso: Umso mehr Händler als Akzeptanzstellen fungieren, umso attraktiver ist das für den Endkunden, weil er die Karte dann häufiger einsetzen kann.
Doch nicht jeder neue Nutzer auf der Plattform wirkt sich für jeden anderen dabei gleich aus. Aufgrund lokaler Netzwerkeffekte wirken neue Nutzer bei myHammer oder Uber stärker positiv in dem direkten geographischen Umfeld. Globale Netzwerkeffekte hingegen bevorteilen alle Nutzer einer Plattform gleichermaßen.
Die Diskussion der Netzwerkeffekte als Erfolgsfaktor für eine Plattform zielt auf das Erreichen der sog. kritischen Masse. Diese ist erreicht, wenn so viele Teilnehmer auf der Plattform aktiv sind („nur angemeldet zu sein“ ist nicht der relevante Bewertungsmaßstab), dass durch deren Interaktion relevante Mehrwerte für alle Teilnehmer entstehen. Ab diesem Wendepunkt ziehen die Mehrwerte der Plattform aufgrund der Netzwerkeffekte aus sich heraus neue Nutzer an und das verstärkt sich immer weiter.
Erfolgskritisch ist, dass bis zum Wendepunkt immer eine explizite aktiv umzusetzende Strategie zum „Gewinnen“ von Nutzern erforderlich ist. „If you build it, they will come“, als Businessweisheit dem US-Klassiker Field of Dreams mit Kevin Costner5 entlehnt, gilt nämlich nur – wenn überhaupt - für Geschäftsmodelle aus dem letzten Jahrhundert. In der modernen Plattformökonomie heißt es dagegen: „No they won’t“. Ein konsequentes aktives Management der Plattform entlang der erfolgskritischen Faktoren ist zwingend erforderlich.
Die Liste möglicher Strategien und erfolgreicher Beispiele, um trotzdem eine kritische Anzahl an Nutzern zu begeistern, ist glücklicherweise lang: Nutzung der Kundenbasis einer anderen Plattform (z.B. Paypal), Aufkauf einer bestehenden Plattform (z.B. Tiktok), Launch mit Big Bang (z.B. Twitter), bereits interagierende Nutzer ansprechen (z.B. facebook), mit attraktiven Konditionen Anbieter anlocken (z.B. Otto oder Playstation), gemeinschaftliches Angebot von mehreren Partnern (z.B. Wedolo).
Ab dem Wendepunkt geht es dann meistens nur noch um das „Halten“ der Nutzer. Aber auch das darf nicht unterschätzt werden, sondern bedarf ebenfalls zielgerichteter Strategien.
3. Offenheit
Nutzer zu „halten“ funktioniert typischerweise über umfangreiche, kundengerechte und attraktive Angebote, die gleichermaßen einfache sowie aussagekräftige Vergleichbarkeit der Angebote, das Vorhandensein von Services mit einem hohen Best-in-Class Convenience-Faktor und über die Schaffung von Vertrauen bzw. Gewohnheit. Ein wesentlicher Aspekt stellt dabei die Offenheit auch gegenüber Wettbewerbern dar. Eine Plattform ist offen, wenn es keine Zugangsbeschränkung für wettbewerbsfremde und -zugehörige Unternehmen gibt. Idealerweise werden die unter Netzwerkgesichtspunkten relevantesten Wettbewerber im Zeitverlauf nach und nach mit einbezogen: Eine Baufinanzierungsberatung der Commerzbank enthält auch immer einen Konditionenvergleich mit bis zu 250 anderen Kreditinstituten. Es werden auch Baufinanzierungen von Drittinstituten vermittelt. Die Geschäftskundenplattform BluePort der Deutsche Bank öffnet sich hingegen zu Beginn nur für wenige Partner. Somit entsteht aber kein relevantes Angebot für Nutzer. Kunden erwarten, dass zu den einzelnen Angeboten auch die jeweiligen TOP-Anbieter gelistet sind. Und dazu gehört eben auch das Angebot der Konkurrenten. Sind diese nicht auf der Plattform aufgeschaltet, d.h. wird aus Kundensicht ein relevanter Anbieter, der z.B. für eine bestimmte Qualität, eine spezifische Art der Leistung oder ein Image steht, vermisst, so wird der Kunde die Plattform verlassen und nach dem Angebot des aus seiner Sicht fehlenden relevanten Anbieters suchen. Gerade das ist zu vermeiden. Das plattformbasierte Ökosystem muss dem Anspruch genügen, „alles rund um ein Thema“ abzubilden. Leistungsseitig und in Bezug auf die jeweils dahinterstehenden Lieferanten muss das Angebot auf der Plattform besser sein als „irgendwo anders“.
4. Governance
Je enger die Verflechtung mit dem Wettbewerb und umso mehr sich die Grenzen zwischen einzelnen Anbietern verwischen, desto relevanter wird die Frage nach der Governance. Auszugsweise sind folgende Fragen zu klären: Wer nimmt welche Rolle (Technologieanbieter, Plattformeigentümer, -betreiber, Anbieter/Produzent, Konsument/Co-Creator) mit welchen Rechten und Pflichten ein? Welche Spielregeln und Anforderungen an die IT gelten für Aufbau, Entwicklung und Nutzung der Plattform? Wie sieht der regulatorische Rahmen aus (u.a. Datenschutz, Rechenschaftspflichten)? Welche Standards (u.a. in Bezug auf Transparenz, Fairness etc.), Garantien, Qualitäten, Kontrollmechanismen sind gefordert? Wie sind Zugang, Monetarisierung, Interaktion, Schlichtung im Streitfall, Grad des Wettbewerbs geregelt?
Amazon regelt die maximalen Preise, die Anbieter auf der Plattform im Vergleich zu eigenen Kanälen verlangen dürfen. Helpling nutzt u.a. ein Auswahlverfahren, Schulungen und eine verpflichtende Versicherung für die Helfer im Haushalt. Sind Instrumente, Normen und die Marktarchitektur nicht sorgfältig designt, droht im schlimmsten Fall ein Marktversagen aufgrund von Informationsasymmetrien, externen Effekten oder Monopolstellungen.
5. Monetarisierung
Das Aufsetzen eines attraktiven Anreizsystems für Anbieter und Nachfrager ist der entscheidende Faktor, um eine Plattform zu designen, die sich auch wirtschaftlich trägt (Schaffung positiver Netzwerkeffekte, Vermeidung „Henne-Ei-Problem).
Daher gibt es nicht „das“ Modell zur Monetarisierung. Es wird vielmehr in Abhängigkeit des Entwicklungsstandes einer Plattform unterschiedlich sein. Zuerst müssen jedoch bepreisbare Mehrwerte vorhanden sein, z.B. der Zugang zu Kunden, Leistungen oder die Kuratierung von Interaktionen. Daraus ergeben sich Möglichkeiten der Monetarisierung: Von uneingeschränkt kostenloser Nutzung (z.B. keine zusätzlichen Kosten zum Fahrpreis bei FreeNow für den Fahrgast im Taxi) bis hin zu einer Zugangsgebühr für bestimmte Features (z.B. Spotify) sind etliche weitere Monetarisierungsmodelle wie Transaktionsgebühren oder auch gezielte Subventionierungen denkbar. Erfolgskritisch ist dabei, dass die Interaktionen (und damit die Monetarisierung) dauerhaft über die eigene Plattform laufen.

Abbildung 2: Beispiele für Monetarisierungsansätze
Für den Aufbau eines plattformbasierten Ökosystems sind die vorgenannten Kernfaktoren erfolgskritisch. Das gilt vor allem für den erfolgreichen Starts der Plattform als auch für den weiteren Ausbau. Nur so lässt sich schnell die kritische Masse erreichen, mögliche Wettbewerber auf Abstand halten und wichtige Meter auf das Ziel „The Winner takes it all“ hin machen.
Quellen:
1: Parker / Van Alstyne / Choudary (2017), Die Plattform-Revolution - Von Airbnb, Uber, PayPal und Co. lernen: Wie neue Plattform-Geschäftsmodell die Wirtschaft verändern
2: Tiwana, Platform Ecosystems (2014), Aligning Architecture, Governance, and Strategy
3: Evans / Schmalensee (2016), Matchmakers, The New Economics of Multisided Platforms
4: Osterwalder & Pigneur (2010) Business Model Generation
5: In Anlehnung an den Kinofilm „Field of Dreams“, 1989; im Original: “If you build it, he will come”
Dr. Alfons Niebuer ist Partner für Versicherungen und Banken bei der Strategieberatung SMP Strategy Consulting. Beratungsschwerpunkte liegen in den Themen Plattformen und Ökosysteme, Transformation von Geschäftsmodellen sowie Omnichannel-Management
Matthias Reck ist Senior Manager für Banken und Versicherer bei der Strategieberatung SMP Strategy Consulting. Beratungsschwerpunkte liegen in Kunden- und Vertriebsstrategien in der Plattformökonomie